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Wer waren die Menschen, deren sterbliche Überreste wir finden?

Mit Hilfe des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. werden aus Knochen Identitäten. Das hilft den Angehörigen wie auch unseren Kolleg*innen.

„Der erste Tote, den wir gefunden haben, und seine Umgebung waren völlig frei von ferromagnetischen Teilen – keine Knöpfe mehr, keine Erkennungsmarke, kein Gewehr. Deshalb haben wir die Knochen erst entdeckt, als sie schon in der Baggerschaufel waren“, erinnert sich Andreas Peters, fachtechnische Aufsichtsperson bei SafeLane Deutschland.

Verbindung zum Leid der Menschen

Sowohl für ihn als auch für seine Kollegen Tom Sonntag und Marcel König war es die erste Begegnung mit den sterblichen Überresten eines Gefallenen. „Wir haben vorschriftsgemäß sofort unsere Arbeit eingestellt und die Polizei informiert. Als dann bei uns durchgesickert ist, dass wir eben die sterblichen Überreste eines Menschen gefunden hatten, war die Stimmung gedrückt. Sonst haben wir es mit Kampfmitteln zu tun. Die haben keine Emotion. Das von ihnen verursachte Leid der Menschen wird nicht greifbar. Wenn du aber Knochen oder einen Schädel vor dir hast, machst du dir darüber schon Gedanken“, sagt Sondierer Tom Sonntag.

Drängende Fragen

„Das ist eine ganz typische Situation, wenn ich zu Fundstellen gerufen werde: Die Leute stehen vor den Knochen und haben vor allem eins: Fragen. Zu den häufigsten gehören die Fragen nach Todesursache, Alter und Herkunft“, so Joachim Kozlowski, Umbettungsleiter Inland im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Er selbst hat lange nach seiner Mutter gesucht und weiß, wie wichtig es ist, einen Abschluss zu finden, den Ort zu kennen, an dem ein Verwandter zu Tode gekommen ist.

Würdige Bestattung

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist eine humanistische Organisation. Er wurde vor mehr als hundert Jahren gegründet, um die Toten des Ersten Weltkriegs im Ausland zu suchen, sie würdig zu bestatten und ihren Angehörigen Gewissheit über ihr Schicksal und einen Ort zur Trauer zu geben. Noch heute sucht und findet der Volksbund die Toten der Kriege. Die Wahrscheinlichkeit, ihre Identität zu klären, hängt von mehreren Faktoren ab. So kann die Erkennungsmarke mit hoher Wahrscheinlichkeit Gewissheit über die Identität des Toten geben – aber auch nicht immer.

Vom Identitätshinweis zum Zigarettenpapier

Die Identifikation von Toten ist ein aufwändiger Prozess, die endgültige Schicksalsklärung nimmt häufig Jahre in Anspruch. Oft ist eine Identifikation auch gar nicht mehr möglich, weil viele Tote kaum etwas oder nichts mehr bei sich haben. Viele der deutschen Soldaten hatten ihre Erkennungsmarken auf der Flucht weggeworfen, in der Hoffnung, von den Russen nicht als Soldaten erkannt zu werden.

Die Russen trugen Bakelitröhrchen, in denen einen Zettel mit ihrem Namen stand. Auch diese Zettel sind nur selten zu finden – unter anderem, weil viele Russen sehr gläubig waren und ihr Schicksal lieber in Gottes Hand als in der von Stalin wissen wollten. Manche haben das Papier auch schlicht als Zigarettenpapier genutzt, wie die Volksbund-Pressesprecherin Diane Tempel-Bornett berichtet.

Knochen und Zähne geben Hinweise

Informationen liefern aber auch die Knochen, die Gebeine, wie der Volksbund sagt.  Als langjähriger Rettungssanitäter und erfahrener Umbetter kann Joachim Kozlowski beispielsweise aus Schädelnähten, dem Zahnstatus, der Länge und dem Volumen der Knochen Rückschlüsse auf Alter und Herkunft eines Menschen ziehen.

Identifikation über Orden

In diesem Fall wurden zwei weitere Tote geborgen. Bei dem zweiten fand Joachim Kozlowski einen Orden: „Über die Nummer auf dem Orden können wir mit Hilfe der Russischen Botschaft hoffentlich die Identität des Toten klären.“ Er sagt, er finde Identitäten. Er betreibe Schicksalsklärung.

Befriedigendes Gefühl

Andreas Peters und sein Team teilen diese Hoffnung: „Wenn wir dazu beitragen können, dass Menschen wissen, wo und wie ihre Angehörigen gefallen sind, macht das unsere Arbeit befriedigender.“

300 Tote jährlich

Etwa 300 Tote birgt Joachim Kozlowski jährlich aus dem brandenburgischen Erdreich. „Im Westen sind die Toten weitgehend geborgen. Im Osten dagegen wurden viele Opfer einfach liegengelassen. Es gab wenig Interesse an den Toten des Krieges – insbesondere auch durch Vorbehalte gegenüber Angehörigen der Wehrmacht“, so Kozlowski.

Die Würde zurückgeben

Die Mitarbeiterinnen des Volksbunds knüpfen hier an – an der Würde der Toten: „Die meisten Menschen sind damals durch Gewalt gestorben. Wenn wir ihre sterblichen Überreste bergen, sollten wir ihnen nicht ein zweites Mal wehtun, sondern sie mit angemessener Vorsicht und Achtsamkeit behandeln. Wenn wir Tote bergen, dann in Stille, möglichst ohne Zuschauer“, betont Diane Tempel-Bornett. Der würdevolle Umgang mit den Toten ist immer wichtig. Besonders bedrückend ist es auch, weil die meisten von ihnen sehr jung waren. „Unsere Soldatenfriedhöfe sind Jugendfriedhöfe. Da liegen Jungen, die eher in die Schule gehört hätten“, so die Pressesprecherin.

Wohltuendes Gespräch

Das Gespräch mit Joachim Kozlowski hat unserem Sondiererteam gutgetan: „Dass wir auf Tote stoßen, ist nicht schön, aber es ist halt so. Joachim Kozlowski hat uns ein paar Informationen geben können, sodass die Knochen jetzt einen Bezug bekommen haben“, sagt Andreas Peters. Diese Gespräche seien wichtig – für die Angehörigen ebenso wie für die, die die Gebeine finden. Diane Tempel-Bornett denkt deshalb auch über eine gezielte Schulung der Umbetter nach, um für solche Gespräche gerüstet zu sein.

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